Nichts ist schlimmer, als wenn die Freunde anfangen Häuser zu bauen. Findet York Pijahn und zieht die Gummistiefel an Vor zehn Minuten sind wir in der Hölle angekommen und ich sage zu meinem Freund Stulli: „Sieht super aus, das wird sicher total gemütlich. Und die Kinder werden es liiieben.“ Die Hölle: Das ist ein Neubaugebiet im Nordwesten Hamburgs, in dem Stulli für sich und seine Familie ein Haus baut. Wir stehen auf einer Betonplatte im Regen, um uns herum: eine Matschwüste, darüber ein grauer Himmel. Hier, auf der Betonplatte soll später einmal ein Balkon zu sehen sein, sagt Stulli, dessen Stimme sich gegen den Wind stemmt. Oder das Dach des Kinderzimmers. Oder ein Teil einer Garage. Oder von allem etwas, so genau habe ich das nicht verstanden. Aus den Pfützen auf der Betonplatte ragen rostige Drähte, eine Plastikplane flappt im Wind. All das liegt neun Meter vom Lärmschutzwall entfernt, „zur Innenstadt sind es 50 Minuten“, sagt Stulli. „Falls man einen raketengeriebenen Helikopter hat“, denke ich. Lieber würde ich in ein nordkoreanisches Braunkohlenbergwerk ziehen als hierhin. Stulli: „Und? Wie findest Du es?“ Ich: „Es ist ein Traum.“ Wer nach diesem Absatz noch keine Depression hat, der ist entweder härter im Nehmen als ich. Oder geht den gleichen, steinigen, steilen Pfad wie mein Freund Stulli. Vom jahrelangen Mieter einer Innenstadtwohnung zum baldigen Hausbesitzer am Rand der City. Stulli baut ein Haus. So wie im letzten Jahr rund 49 000 Familien in Deutschland, so wie gerade alle meine Freunde, die seitdem gern mit mir über die Vorzüge von doppelverglasten Balkontüren oder lasierten Deckenpanelen reden. Themen, die so interessant sind wie der Wetterbericht von Wladiwostok. Als Mensch, der „immer noch Miete zahlt“, eine Satz, für den ich Stulli kürzlich sehr gern geschlagen hätte, schwankt man zwischen zwei Gefühlen: Neid, den man niemals zugeben würde und unterdrückter Freude, dass man nicht in vier Monaten in eine verklinkerte Kiste hinterm Lärmschutzwall ziehen muss. Fest steht: Als Freund von Hausbauern, kann man sich dem Thema nicht entziehen. Denn Hausbesitzer zeigen ihre Baustellen so gern, so dringend und so unerbittlich, wie Exhibitionisten ihren nackten Po. Oder werdende Eltern die Ultraschallbilder ihrer baldigen Kinder: diese schwarz-weißen Fotos, die alle gleich aussehen, man erkennt nie, ob da ein Kind heranwächst oder eine Gurke, oder E.T., nun ja. Wichtig ist, dass man die Bilder anschaut, sich mitfreut und dabei ein Gesicht macht, als habe man gerade den Karamelkern eines Bonbons freigelutscht. Ich habe fünf Ultraschallfotos an meiner Kühlschranktür, es sieht ein bisschen aus, wie bei Grey’s Anatomy oder auf der Krankenstation von Raumschiff Enterprise. Die Kinder sind mittlerweile geboren. Die passenden Häuser kämpfen sich noch durch den Geburtskanal. Und so stapfe ich jetzt jeden Sonntag durch Neubaugebiete. Ich habe mir dafür extra ein Paar dunkelblaue Gummistiefel gekauft. Für den Baustellenbesuch gilt im Übrigen das gleiche, wie für die Ultraschallfotos: Nicht meckern, nicht kritisieren, sondern kluge Fragen auf Augenhöhe stellen. Nachdem meine Freunde genug Schulden aufgenommen haben, um bis 2089 keinen Sommerurlaub mehr machen zu können, nachdem sie bei der ersten Eigentümerversammlung des Neubaugebietes entdecken mussten, dass die neuen rotgesichtigen Nachbarn alle im gleichen Schützenverein sind und eine Frettchenzucht im Garten planen, nachdem all das die Beziehung des Hausbauerpaares bis aufs Fleisch gesandstrahlt hat, da will man nicht hören, dass ich, der Baustellenbesucher, die neuen leberwurstfarbenen Klinker doof finde. Oder die Begeisterung für einen extra leise schließenden Briefkasten aus kobaltlegiertem Feinmuffenstahl nicht länger als zehn Minuten teilen kann. Oder dass das Haus genauso aussieht, wie all die anderen, die gerade aus der Matschwüste hinterm Lärmschutzwall wachsen. Nein, all das will man nicht. Man will gelobt werden. Und so lobe ich mich von Baustelle zu Baustelle, von meinen Kumpels in Hamburg, zu meinen Abitur-Freunden in Bielefeld. Toller Dachgiebel, schickes Carport, ja, das sind wirklich ganz wunderbare Gehwegplatten, klare Linien, fast Bauhaus. Für den Satz „Ich finde es richtig, ruhig etwas mehr Geld in Kupfer-Regenrinnen zu investieren, da hat man was für die Zukunft“, bekomme ich immer ein dankbares Lächeln aus reinem Gold. Und werde für nächste Sonntag wieder eingeladen, „da kannste Dir die im Keller die neuen Heizungsrohre angucken“, sagt Stulli, während der Regen auf uns runternieselt. Er legt mir eine Hand auf die Schulter. „Du wirst sehen, das wird himmlisch.“