Kolumne: Und plötzlich ohne Job

Gefeuert werden ist wie verlassen werden. Man ist zornig, traurig und fängt irgendwann wieder ganz von vorne an. Genauso geht es York Pijahns Freund Felix. Eine Arbeitsgeschichte

Die Worte kommen aus Felix’ Mund begleitet von einer kleinen Atemwolke, die weiß in der kalten Winterluft steht. Über uns die Nachmittagssonne und ein paar Möwen. Wir sitzen oberhalb des Hamburger Hafens vor einem Café: mein Freund Felix und ich. Die Kellnerin hat jedem eine Wolldecke gebracht, wir sehen aus wie Kreuzfahrt-Rentner auf Eismeer-Tour. „Verdammt Alter, was für ein Mist.“
Ich kenne diesen Tonfall eigentlich von Freunden, die gerade von ihrer Beziehung verlassen worden sind: traurig, pampig, wütend, wackelig und irgendwie müde. Als würde jemand die Energieleitung zuhalten. Einen Monat ist es her, dass Felix einen Anruf von seinem Chef bekommen hat. Ein kurzes Gespräch in dessen Büro, Schulterzucken, Händeschütteln, tut uns echt leid. Nach zehn Jahren in einer Hamburger Werbeagentur wurde Felix, der klügste, erfolgreichste und ehrlich gesagt auch zäheste Freund, den ich habe, betriebsbedingt gekündigt. Felix? Ist jetzt arbeitslos. Und ein Satz rauscht wie eine Welle durch meinen Freundeskreis, vor dem man sich eigentlich die Ohren zuhalten will, der aber trotzdem stimmt: Wenn ihm das passieren kann – kann das jedem passieren.
Wenn es in meinem Freundeskreis eine Hitliste der Kündigungen gäbe, wäre ich zur Zeit noch auf Platz 1. Dreimal gekündigt, einmal mit Ende zwanzig, einmal mit Anfang, einmal mit Mitte 30. Ich hatte mich jedes Mal gefühlt wie ein Kind, das strampelnd von einem Erwachsenen an der Anorak-Kapuze aus der Sandkiste gefischt wird: „So Kleiner, Du darfst jetzt nicht mehr mitspielen, danke für den tollen Einsatz am Buddeleimer, die anderen machen jetzt ohne Dich weiter. Na, na, Nicht heulen, ach ja, wir sollten unbedingt mal bald zusammen essen gehen.“ Pfff. „Wir sollten unbedingt mal bald zusammen essen gehen“ ist übrigens das „Hau ab!“ des 21. Jahrhunderts. Ich hätte damals sehr gern die Büros meiner ehemaligen Chefs von marodierenden Mongolen brandschatzen lassen, war aber zu verdattert. Und hegte außerdem nach jeder Kündigung – kein Witz – die groteske Resthoffnung, dass es sich nur um eine Verwechslung handeln konnte. „Herr Pijahn, da ist was schief gelaufen, wir lieben Sie doch mit ganzem Herzen, sie werden befördert, nicht gefeuert, sorry.“ Wenn es um das Leugnen von Niederlagen geht, bin ich ziemlich unschlagbar.
Psychologen sagen, dass Menschen nach einer Kündigung Phasen durchlaufen, die jenen von frisch Getrennten gleichen: Leugnen, Wut, Kummer und wenn alles gut läuft – Akzeptanz und Neustart. Während ich ein Experte für die Leugnungs-Phase zu sein scheine, hat Felix nach einem kurzen Kummer-Intermezzo (und einer sensationell beknackten „Ich-kann-nix-und-endlich-habe-es-die-anderen-auch-gemerkt-Phase) den Neustart-Bereich erreicht. Und der steht unter folgendem Motto: von allem weniger.
Felix und seine Freundin, die halbtags als Grafikerin arbeitet, haben ihre werbefilmtaugliche Fünf-Zimmer-Altbauwohnung gekündigt und sind jetzt in ein 75-Quadratmeter-Apartment umgezogen. Felix hat den geplanten und ziemlich teuren La-Gomera-Urlaub für die Osterferien abgesagt. Wenn das Wetter gut ist, sei vielleicht mal wieder Camping in Holland angesagt, sagt Felix, wie zu Abizeiten. All das ist jetzt zwei Monate her. Felix boxt sich mit freien Aufträgen als Ein-Mann-Firma durch, vom kleinen Arbeitszimmer aus, das er in der neuen Wohnung hat. Ja, er habe jetzt weniger Geld, ein bisschen sei das Studentenleben zurückgekehrt. Und bei allen, die fest angestellt sind in meinem Freundeskreis kann man es spüren: so eine klamme Angsthand im Nacken, dass einem das auch irgendwann bevorstehen könnte. Aber auch so ein Hauch, so eine Ahnung von Neid, auf ein Leben mit weniger Besitz, weniger Ballast, einem Leben, das sich nicht wie ein permanenter Sprint anfühlt. Neid auf den winzigen Sternenstaub der jedes Mal mit einem Neuanfang hereinweht.
Letzte Woche haben ein paar Freunde aus Bielefeld und ich die letzten Kisten in Felix neue Wohnung getragen. Ja, er habe ein knappes Dutzend Bewerbungen rausgeschickt, es könne bekanntlich dauern, bis wann was hört. Es gehe jetzt erst mal darum, weiterzumachen hat Felix gesagt, auf der Waschmaschine sitzend: mit weniger Geld, mit mehr Zeit. Den Camping-Urlaub in Holland machen wir zusammen. Sternenstaub. Alles auf Anfang.